Ich
kann es kaum glauben – seit Jahren ein Traum, nun Wirklichkeit: mein South West
Coast Path Wanderabenteuer hat begonnen! Ich sitze in der Wartehalle des
Dortmunder Flughafens und habe mich von meinem Abschiedskommittee bestehend aus
Astrid, Birgit, Alex und Pi verabschiedet. Ich krame mein Buch aus meinem
zusammenfaltbaren, orangenen Rucksäckchen und beginne zu lesen, denn es dauert
noch eine Weile bis der Flieger bereit ist. Ich packe das Buch wieder weg. Es
hat keinen Sinn, ich bin viel zu hibbelig und aufgeregt; stattdessen betrachte
ich meine Mitreisenden: Paare, Alleinreisende, ganze Familien, Junge, Alte,
manche sind offensichtlich Touristen, andere ebenso offensichtlich
Geschäftsleute und manche – wer weiß... Was treibt sie alle nach London?
Der
Flug ist ruhig und trotz vieler Wolken kann ich immer wieder einen Blick auf
die Erde erhaschen. Mal entdecke ich einen großen Fluss, ist es der Rhein? Dann
eine Stadt mit viel Wasser, vielleicht Antwerpen? Schiffe, ein riesiger
Windpark, dann englische Felder. Ruckelige Landung. Also, dafür hat der Pilot
keine Schokolade verdient! Aber immerhin sind wir heile gelandet. Auch mein
großer Rucksack findet sich unversehrt auf dem Gepäckband und gemeinsam machen
wir uns auf den Weg zum Busbahnhof. Der Fahrer der Greenline nach Victoria ist
guter Dinge und in Plauderlaune, der Verkehr am Sonntagmorgen problemlos und so
bin ich bereits kurz vor Mittag mitten in London. No problems so far!
Allerdings ist es zum Einchecken noch zu früh. Mein Versuch ‚mal eben‘ meine
englische SIM-Karte zu aktivieren misslingt, okay, mitten auf offener Straße war
das vielleicht auch nicht die tollste Idee. Nach Harrods finde ich aber auch
ohne GPS, muss dann allerdings meinen Rucksack im Stauraum aufgeben, weil er
mich nicht in das altehrwürdige Kaufhaus begleiten darf. Ich fühle mich dort
auch nicht wirklich wohl, aber in den Food Halls gibt es so leckere Sachen… da
gönne ich mir goatcheese and spinach quiche und danish pastry für den Abend
sowie einen chocolate scone für sofort und bin froh, als ich wieder draußen
bin; dieses Gedränge ist einfach nicht mein Ding. Eaton Square und Eaton Place
entlang komme ich zum Hanover Hotel Victoria im St George’s Drive und fühle
mich nun wirklich in die Serie ‚Upstairs, Downstairs‘ (Das Haus am Eaton Place)
versetzt. Das Haus könnte als Kulisse dienen und mein Zimmer im obersten
Stockwerk wäre dann die Kammer des Stubenmädchens, aber es ist sauber und für
mich völlig ausreichend.
Mit
leichtem Gepäck (Minirucksack in der Westentasche) gehe ich auf Erkundung. Ich
liebe London! Auch wenn ich nie lange in einer Großstadt sein mag: ich liebe
all die Bauwerke, Denkmäler, die Busse und Taxis, den Fluss, die Brücken, sogar
das Menschengewimmel, das ganze Feeling. An der Themse entlang schlendere ich
nach Westminster, sage unterwegs der Lady of Shalott in der Tate Gallery guten
Tag. Houses of Parliament, Big Ben, Westminster Bridge, Boadicea, die keltische
Kriegerin. London Eye, Hungerford Footbridge. Mir kommt in den Sinn, wie
schangelig diese Fußgängerbrücke war, als ich sie 1992 zum ersten Mal betrat.
Ich war für ein wunderbares Konzert mit Kathleen Battle in der Royal Festival
Hall nach London gekommen und dieser schmale, feuchte, unangenehm riechende
Steg neben der Eisenbahnbrücke passte so gar nicht zu meiner Konzertstimmung.
Nun gibt es eine moderne Fußgängerbrücke auf beiden Seiten der Eisenbahn und die
ganze Stadt wirkt modern und überraschend sauber. Natürlich gibt es auch
Bettler, aber es scheint mehr Straßenmusiker und Künstler zu geben, die die
Straßen bereichern und bunt machen. Aber es gibt Bettler. Ich komme wie so oft
in Gewissensnot. Was zwingt Menschen dazu? Haben sie niemanden, keine Familie,
keinen Freund, der sich für sie verantwortlich, zuständig fühlt, der sich ihrer
annimmt? Ich gehe vorbei. Und kehre dann um, gebe ein Pfund. ‚Thank you for
turning back.‘ Er hatte gesehen, dass ich vorbeigegangen war. Und zu Hause?
Zugegeben: lange habe ich diesen Gedanken nicht nachgehangen…
Trafalgar
Square, Charing Cross. Hallo, Ihre Lordschaft, hoch oben auf der Säule; ein
kurzes Gedenken an Edward I und seine Königin Eleanor. Der König trauerte so
sehr, dass er ein Kreuz an jedem Ort errichten ließ, an dem ihr Leichnam
während der Überführung nach London über Nacht blieb. Charing Cross ist nur
eine Replik, aber trotzdem bin ich immer wieder berührt von dem Gedanken, dass
ein König im 13. Jahrhundert vielleicht nicht aus Staatsräson sondern aus Liebe
geheiratet hat. Oder dass zumindest Liebe daraus wurde. Direkt nebenan: ein
Telefonladen von Three. Von der Gesellschaft ist meine störrische SIM, die ich
auch im Hotel nicht in Gang bekommen habe. Aber natürlich hat der Laden schon
zu. Covent Garden und St Paul’s Church, die Schauspielerkirche – würde ich hier
in der Nähe arbeiten wäre der Kirchhof mein Lieblingsplatz für die
Mittagspause. Ich bummele den Strand entlang bis zur St Paul’s Cathedral,
entdecke Denkmäler, die mir noch nie aufgefallen sind, stoße an der Millennium
Bridge wieder auf die Themse, gehe aber nicht hinüber sondern folge dem River
Walk zum Tower und den St Katherine’s Docks.
Es
dämmert bereits als ich Tower Bridge erreicht habe, aber in London habe ich
mich noch nie unsicher gefühlt. Rückweg auf der anderen Flussseite. Southwark
Cathedral, Globe Theatre, South Bank Centre: ich bin wieder an der Hungerford
Footbridge, habe aber noch nicht genug. Ich wusele ein bisschen zwischen Trafalgar
Square, Leicester Square und Piccadilly Circus hin und her bevor ich mich über Whitehall
auf den Rückweg zum Hotel mache. In meinem Kämmerchen eröffne ich zum ersten
Mal mein Wanderbüro. Die SIM widersetzt sich mir nach wie vor, aber das WLAN
funktioniert, ich kann mit Assi und Birgit ein bisschen skypen bevor ich den
ersten Schwung Fotos sichere und mein Harrods Abendessen schlemme. Ein
wunderbarer Aufbruchstag mit herrlichem Wetter. Glücklich und geplättet schlafe
ich sofort ein.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen