Montag, 22. Dezember 2014

Mo, 24.03.2014

Um 4 Uhr bin ich bereits wieder wach und die Frühaufsteherin in mir weigert sich beharrlich liegenzubleiben. Halbherzig versuche ich erneut mein Glück mit der SIM, aber das Ding scheint zu wissen, dass ich nicht wirklich bei der Sache bin und schaltet auf stur. Ich auch. Mir doch egal, dann gehe ich nachher eben doch in den Laden. Nun gibt es nur eines, was ich tun muss: eine Runde durch Chelsea drehen. Zur frühen Morgenstunde in einer Großstadt unterwegs sein ist herrlich! Der Verkehr ist noch nicht heftig, es sind erst wenige Leute unterwegs und seltsamerweise grüßen sich so früh am Tag oft Leute, die es ein paar Stunden später nicht mehr täten. Ich schlendere am Cheyne Walk vorbei, wo Simon und Deborah St James, die Freunde von Inspector Lynley wohnen. Zumindest behauptet Elizabeth George das. Leider hat heute keiner der beiden Lust auf einen Morgenspaziergang und auch Joseph Cotter, Deborahs Vater, geht nicht mit Peach Gassi. Über dem Fluss ist bereits die Sonne aufgegangen und strahlt nun durch ganz leichten Dunst vom strahlend blauen Himmel. Albert Bridge prangt in leuchtendem Rosa vor dem Himmelsblau. Eine Reiterstaffel ist auf dem Weg zum Morgentraining, die Hufe klappern über die Straße. Ordnungsgemäß wird an der Ampel gehalten, bevor der Tross bei Grün weiterklappert.

Zurück im Hotel bin ich zeitig beim Frühstück – zum Glück! Es ist bereits reichlich voll im kleinen Frühstückszimmer, so gerade erwische ich noch einen Tisch. Ein paar Minuten später reicht die Schlange der Frühstückswilligen bereits quer durchs Zimmer und ich rechne jeden Moment damit, dass sich jemand auf meinen Teller setzt. Da es nur Cereals, Brötchen und Croissants, Käse und Kochschinken gibt, ist das Frühstück zumindest für mich eine schnelle Angelegenheit. Mein zweites Brötchen nehme ich lieber mit und esse es unterwegs, bevor sich jemand drauf setzt.

Mein Zug gen Westen geht erst mittags, ich habe also noch Zeit am Buckingham Palace vorbei zu schauen und durch den St James Park zu schlendern. Immer wenn ich hier bin frage ich mich, wie es wohl für die Queen ist die Queen zu sein… Queen Victoria lässt ihren steinernen Blick nachdenklich und irgendwie traurig die Mall hinuntergleiten. Im Park blühen die ersten  Bäume und Osterblumen; alle möglichen Wasservögel, von Enten bis zu Pelikanen ist fast alles vertreten, begrüßen lautstark den Frühling und auch die unvermeidlichen grauen Eichhörnchen toben munter über Bäume und Zäune. Nach all dem Gefiederten Gewusel im Park fällt nun der blaue Hahn am Trafalgar Square besonders auf. Wikipedia verrät mir, dass der vierte Pfeiler (die übrigen tragen Pferdeskulpturen) ein Standbild von William IV tragen sollte, was aber an finanziellen Problemen scheiterte. Nach mehr als 150 ‚leeren‘ Jahren, in denen das Schicksal der Säule diskutiert wurde, entschied man 1999, dass eine Folge von modernen Kunstwerken den Platz füllen soll. Diese Tradition wurde beibehalten und im Moment ist es der blaue Hahn der deutschen Künstlerin Katharina Fritsch. Sie betrachtet den Hahn als ein feministisches Werk, da sie, als Frau, ihn dort platziert hat. Außerdem soll er ein humorvolles Gegenstück zu all den anderen Statuen sein.

Um die nächste Ecke, im Three Shop am Charing Cross, wird mein Problem schnell gelöst, zum Installieren und Laden musste die deutsche SIM rausgenommen werden – nun vertragen die beiden sich. Es ist ein gutes Gefühl, wieder auf Google Maps zurückgreifen zu können, obwohl ich überraschend gut ohne Karte ausgekommen bin. Ich stromere durch den Temple Bezirk und marschiere dann über Covent Garden, Leicester Square und Piccadilly Circus zur Oxford Street, der ich bis Marble Arch folge. Langsam komme ich zum Ende meiner London Sightseing Tour. Vom Hyde Park aus nehme ich Kurs auf Paddington Station – allerdings ist der Bahnhof momentan eine Großbaustelle und ich wähle den Weg in die falsche Richtung, laufe fast einmal um den ganzen Komplex herum. Nur gut, dass noch reichlich Zeit ist. Direkt vor dem Bahnhof ist ein Kanal mit Narrow Boats, was für ein Stilbruch.

12.18 Uhr ab Paddington. Von Platform 10 startet mein Zug nach Taunton. Es ist voll und zu eng um etwas mit dem Computer zu machen, also vertreibe ich mir die Zeit mit Essen, aus dem Fenster gucken und mit dem Handy spielen. Wie schnell der GPS-Punkt sich über die Landkarte bewegt! Ab Taunton geht es mit dem Bus weiter und ich wundere mich, wie voll er ist: bis auf den letzten Platz besetzt.  Die meisten meiner Mitreisenden sind Eltern mit Kindern, die alle aufgekratzt und laut, aber bester Dinge sind. Auffälligste Person ist ein sehr großer, sehr breitschultriger und sehr tätowierter Mann, dessen gigantischen Oberarm das London Eye, Big Ben und ein roter Bus (beinahe in Originalgröße) zieren. Würde er mir im Dunkeln auf der Straße entgegen kommen, wahrscheinlich würde ich die Straßenseite wechseln… aber hier im Bus fällt er durch seine unerschütterliche Geduld mit seiner Tochter und dem kleinen Sohn Harvey auf. Ziel der vergnügten Schar ist das Feriencamp Butlins, wo ich allein im Bus zurückbleibe.

Wenig später habe auch ich mein Ziel erreicht: Minehead Station, von wo Züge der West Somerset Steam Railway nach Bishops Lydeard fahren. Der Weg zum B&B ist schnell gefunden, die Geschäftsstraße hoch, an der Kirche vorbei und dann steil den Berg hinauf. Janna begrüßt mich herzlich und zeigt mir mein geräumiges, behaglich eingerichtetes Zimmer. Während der Busfahrt hatte es zu regnen begonnen, aber das kann mich nicht von einer kleinen Ortserkundung abhalten. Nach einer kurzen Teepause ziehe ich wieder los: die Straßen am Hang sind durch kleine Fußwege verbunden, durch die ich stromere. In der schlichten, schönen Kirche zünde ich eine Kerze an, gönne mir eine Runde Windowshopping und gehe am Meer entlang bis hinter Butlins. Das Coast Path Monument, der Start des SWCP, ist auf der anderen Seite des Ortes, am Hafen. Ich bin absichtlich in die entgegengesetzte Richtung gegangen - ich glaube, ich bin ganz schön aufgeregt… Nun habe ich immerhin schon das Meer erreicht. Ein schöner Gedanke: wenn alles gut geht werde ich es die nächsten Wochen immer zur Gesellschaft haben!

Nun genieße ich noch ein leckeres Abendessen im Whetherspoon Pub The Duke of Wellington und im Zimmerbeende ich den Abend am Computer. Über Skype gebe ich Bescheid, dass es mir bestens geht und starte ich ein paar Mail-Anfragen für ein Quartier in Combe Martin, wo ich in drei Tagen ankommen möchte.  Ob ich schlafen kann? Ich bin so kurz vorm wirklich und wahrhaftig Losgehen!

Chelsea Bridge
Albert Bridge



















Buckingham Palace








Warum so traurig, Your Majesty?































St James Park















der blaue Hahn am Trafalgar Square

im Temple Bezirk

















Oxford Circus

Paddington Underground Station am Kanal

















St Michael's Church, Minehead

























































Minehead













So, 23.03.2014

Ich kann es kaum glauben – seit Jahren ein Traum, nun Wirklichkeit: mein South West Coast Path Wanderabenteuer hat begonnen! Ich sitze in der Wartehalle des Dortmunder Flughafens und habe mich von meinem Abschiedskommittee bestehend aus Astrid, Birgit, Alex und Pi verabschiedet. Ich krame mein Buch aus meinem zusammenfaltbaren, orangenen Rucksäckchen und beginne zu lesen, denn es dauert noch eine Weile bis der Flieger bereit ist. Ich packe das Buch wieder weg. Es hat keinen Sinn, ich bin viel zu hibbelig und aufgeregt; stattdessen betrachte ich meine Mitreisenden: Paare, Alleinreisende, ganze Familien, Junge, Alte, manche sind offensichtlich Touristen, andere ebenso offensichtlich Geschäftsleute und manche – wer weiß... Was treibt sie alle nach London?

Der Flug ist ruhig und trotz vieler Wolken kann ich immer wieder einen Blick auf die Erde erhaschen. Mal entdecke ich einen großen Fluss, ist es der Rhein? Dann eine Stadt mit viel Wasser, vielleicht Antwerpen? Schiffe, ein riesiger Windpark, dann englische Felder. Ruckelige Landung. Also, dafür hat der Pilot keine Schokolade verdient! Aber immerhin sind wir heile gelandet. Auch mein großer Rucksack findet sich unversehrt auf dem Gepäckband und gemeinsam machen wir uns auf den Weg zum Busbahnhof. Der Fahrer der Greenline nach Victoria ist guter Dinge und in Plauderlaune, der Verkehr am Sonntagmorgen problemlos und so bin ich bereits kurz vor Mittag mitten in London. No problems so far! Allerdings ist es zum Einchecken noch zu früh. Mein Versuch ‚mal eben‘ meine englische SIM-Karte zu aktivieren misslingt, okay, mitten auf offener Straße war das vielleicht auch nicht die tollste Idee. Nach Harrods finde ich aber auch ohne GPS, muss dann allerdings meinen Rucksack im Stauraum aufgeben, weil er mich nicht in das altehrwürdige Kaufhaus begleiten darf. Ich fühle mich dort auch nicht wirklich wohl, aber in den Food Halls gibt es so leckere Sachen… da gönne ich mir goatcheese and spinach quiche und danish pastry für den Abend sowie einen chocolate scone für sofort und bin froh, als ich wieder draußen bin; dieses Gedränge ist einfach nicht mein Ding. Eaton Square und Eaton Place entlang komme ich zum Hanover Hotel Victoria im St George’s Drive und fühle mich nun wirklich in die Serie ‚Upstairs, Downstairs‘ (Das Haus am Eaton Place) versetzt. Das Haus könnte als Kulisse dienen und mein Zimmer im obersten Stockwerk wäre dann die Kammer des Stubenmädchens, aber es ist sauber und für mich völlig ausreichend.

Mit leichtem Gepäck (Minirucksack in der Westentasche) gehe ich auf Erkundung. Ich liebe London! Auch wenn ich nie lange in einer Großstadt sein mag: ich liebe all die Bauwerke, Denkmäler, die Busse und Taxis, den Fluss, die Brücken, sogar das Menschengewimmel, das ganze Feeling. An der Themse entlang schlendere ich nach Westminster, sage unterwegs der Lady of Shalott in der Tate Gallery guten Tag. Houses of Parliament, Big Ben, Westminster Bridge, Boadicea, die keltische Kriegerin. London Eye, Hungerford Footbridge. Mir kommt in den Sinn, wie schangelig diese Fußgängerbrücke war, als ich sie 1992 zum ersten Mal betrat. Ich war für ein wunderbares Konzert mit Kathleen Battle in der Royal Festival Hall nach London gekommen und dieser schmale, feuchte, unangenehm riechende Steg neben der Eisenbahnbrücke passte so gar nicht zu meiner Konzertstimmung. Nun gibt es eine moderne Fußgängerbrücke auf beiden Seiten der Eisenbahn und die ganze Stadt wirkt modern und überraschend sauber. Natürlich gibt es auch Bettler, aber es scheint mehr Straßenmusiker und Künstler zu geben, die die Straßen bereichern und bunt machen. Aber es gibt Bettler. Ich komme wie so oft in Gewissensnot. Was zwingt Menschen dazu? Haben sie niemanden, keine Familie, keinen Freund, der sich für sie verantwortlich, zuständig fühlt, der sich ihrer annimmt? Ich gehe vorbei. Und kehre dann um, gebe ein Pfund. ‚Thank you for turning back.‘ Er hatte gesehen, dass ich vorbeigegangen war. Und zu Hause? Zugegeben: lange habe ich diesen Gedanken nicht nachgehangen…

Trafalgar Square, Charing Cross. Hallo, Ihre Lordschaft, hoch oben auf der Säule; ein kurzes Gedenken an Edward I und seine Königin Eleanor. Der König trauerte so sehr, dass er ein Kreuz an jedem Ort errichten ließ, an dem ihr Leichnam während der Überführung nach London über Nacht blieb. Charing Cross ist nur eine Replik, aber trotzdem bin ich immer wieder berührt von dem Gedanken, dass ein König im 13. Jahrhundert vielleicht nicht aus Staatsräson sondern aus Liebe geheiratet hat. Oder dass zumindest Liebe daraus wurde. Direkt nebenan: ein Telefonladen von Three. Von der Gesellschaft ist meine störrische SIM, die ich auch im Hotel nicht in Gang bekommen habe. Aber natürlich hat der Laden schon zu. Covent Garden und St Paul’s Church, die Schauspielerkirche – würde ich hier in der Nähe arbeiten wäre der Kirchhof mein Lieblingsplatz für die Mittagspause. Ich bummele den Strand entlang bis zur St Paul’s Cathedral, entdecke Denkmäler, die mir noch nie aufgefallen sind, stoße an der Millennium Bridge wieder auf die Themse, gehe aber nicht hinüber sondern folge dem River Walk zum Tower und den St Katherine’s Docks.

Es dämmert bereits als ich Tower Bridge erreicht habe, aber in London habe ich mich noch nie unsicher gefühlt. Rückweg auf der anderen Flussseite. Southwark Cathedral, Globe Theatre, South Bank Centre: ich bin wieder an der Hungerford Footbridge, habe aber noch nicht genug. Ich wusele ein bisschen zwischen Trafalgar Square, Leicester Square und Piccadilly Circus hin und her bevor ich mich über Whitehall auf den Rückweg zum Hotel mache. In meinem Kämmerchen eröffne ich zum ersten Mal mein Wanderbüro. Die SIM widersetzt sich mir nach wie vor, aber das WLAN funktioniert, ich kann mit Assi und Birgit ein bisschen skypen bevor ich den ersten Schwung Fotos sichere und mein Harrods Abendessen schlemme. Ein wunderbarer Aufbruchstag mit herrlichem Wetter. Glücklich und geplättet schlafe ich sofort ein.



Boadicea and the London Eye
Houses of Parliament






St Paul's Church



Strand
St Paul's Cathedral

Tower Bridge gen Westen



Tower Bridge