Um
4 Uhr bin ich bereits wieder wach und die Frühaufsteherin in mir weigert sich
beharrlich liegenzubleiben. Halbherzig versuche ich erneut mein Glück mit der
SIM, aber das Ding scheint zu wissen, dass ich nicht wirklich bei der Sache bin
und schaltet auf stur. Ich auch. Mir doch egal, dann gehe ich nachher eben doch
in den Laden. Nun gibt es nur eines, was ich tun muss: eine Runde durch Chelsea
drehen. Zur frühen Morgenstunde in einer Großstadt unterwegs sein ist herrlich!
Der Verkehr ist noch nicht heftig, es sind erst wenige Leute unterwegs und
seltsamerweise grüßen sich so früh am Tag oft Leute, die es ein paar Stunden
später nicht mehr täten. Ich schlendere am Cheyne Walk vorbei, wo Simon und
Deborah St James, die Freunde von Inspector Lynley wohnen. Zumindest behauptet
Elizabeth George das. Leider hat heute keiner der beiden Lust auf einen Morgenspaziergang
und auch Joseph Cotter, Deborahs Vater, geht nicht mit Peach Gassi. Über dem
Fluss ist bereits die Sonne aufgegangen und strahlt nun durch ganz leichten
Dunst vom strahlend blauen Himmel. Albert Bridge prangt in leuchtendem Rosa vor
dem Himmelsblau. Eine Reiterstaffel ist auf dem Weg zum Morgentraining, die
Hufe klappern über die Straße. Ordnungsgemäß wird an der Ampel gehalten, bevor
der Tross bei Grün weiterklappert.
Zurück
im Hotel bin ich zeitig beim Frühstück – zum Glück! Es ist bereits reichlich
voll im kleinen Frühstückszimmer, so gerade erwische ich noch einen Tisch. Ein
paar Minuten später reicht die Schlange der Frühstückswilligen bereits quer
durchs Zimmer und ich rechne jeden Moment damit, dass sich jemand auf meinen
Teller setzt. Da es nur Cereals, Brötchen und Croissants, Käse und Kochschinken
gibt, ist das Frühstück zumindest für mich eine schnelle Angelegenheit. Mein
zweites Brötchen nehme ich lieber mit und esse es unterwegs, bevor sich jemand
drauf setzt.
Mein
Zug gen Westen geht erst mittags, ich habe also noch Zeit am Buckingham Palace
vorbei zu schauen und durch den St James Park zu schlendern. Immer wenn ich
hier bin frage ich mich, wie es wohl für die Queen ist die Queen zu sein… Queen
Victoria lässt ihren steinernen Blick nachdenklich und irgendwie traurig die
Mall hinuntergleiten. Im Park blühen die ersten Bäume und Osterblumen; alle möglichen
Wasservögel, von Enten bis zu Pelikanen ist fast alles vertreten, begrüßen
lautstark den Frühling und auch die unvermeidlichen grauen Eichhörnchen toben
munter über Bäume und Zäune. Nach all dem Gefiederten Gewusel im Park fällt nun
der blaue Hahn am Trafalgar Square besonders auf. Wikipedia verrät mir, dass
der vierte Pfeiler (die übrigen tragen Pferdeskulpturen) ein Standbild von
William IV tragen sollte, was aber an finanziellen Problemen scheiterte. Nach
mehr als 150 ‚leeren‘ Jahren, in denen das Schicksal der Säule diskutiert
wurde, entschied man 1999, dass eine Folge von modernen Kunstwerken den Platz
füllen soll. Diese Tradition wurde beibehalten und im Moment ist es der blaue
Hahn der deutschen Künstlerin Katharina Fritsch. Sie betrachtet den Hahn als
ein feministisches Werk, da sie, als Frau, ihn dort platziert hat. Außerdem
soll er ein humorvolles Gegenstück zu all den anderen Statuen sein.
Um
die nächste Ecke, im Three Shop am Charing Cross, wird mein Problem schnell
gelöst, zum Installieren und Laden musste die deutsche SIM rausgenommen werden
– nun vertragen die beiden sich. Es ist ein gutes Gefühl, wieder auf Google Maps
zurückgreifen zu können, obwohl ich überraschend gut ohne Karte ausgekommen
bin. Ich stromere durch den Temple Bezirk und marschiere dann über Covent
Garden, Leicester Square und Piccadilly Circus zur Oxford Street, der ich bis
Marble Arch folge. Langsam komme ich zum Ende meiner London Sightseing Tour.
Vom Hyde Park aus nehme ich Kurs auf Paddington Station – allerdings ist der
Bahnhof momentan eine Großbaustelle und ich wähle den Weg in die falsche
Richtung, laufe fast einmal um den ganzen Komplex herum. Nur gut, dass noch
reichlich Zeit ist. Direkt vor dem Bahnhof ist ein Kanal mit Narrow Boats, was
für ein Stilbruch.
12.18
Uhr ab Paddington. Von Platform 10 startet mein Zug nach Taunton. Es ist voll
und zu eng um etwas mit dem Computer zu machen, also vertreibe ich mir die Zeit
mit Essen, aus dem Fenster gucken und mit dem Handy spielen. Wie schnell der
GPS-Punkt sich über die Landkarte bewegt! Ab Taunton geht es mit dem Bus weiter
und ich wundere mich, wie voll er ist: bis auf den letzten Platz besetzt. Die meisten meiner Mitreisenden sind Eltern
mit Kindern, die alle aufgekratzt und laut, aber bester Dinge sind.
Auffälligste Person ist ein sehr großer, sehr breitschultriger und sehr
tätowierter Mann, dessen gigantischen Oberarm das London Eye, Big Ben und ein
roter Bus (beinahe in Originalgröße) zieren. Würde er mir im Dunkeln auf der
Straße entgegen kommen, wahrscheinlich würde ich die Straßenseite wechseln…
aber hier im Bus fällt er durch seine unerschütterliche Geduld mit seiner
Tochter und dem kleinen Sohn Harvey auf. Ziel der vergnügten Schar ist das
Feriencamp Butlins, wo ich allein im Bus zurückbleibe.
Wenig
später habe auch ich mein Ziel erreicht: Minehead Station, von wo Züge der West
Somerset Steam Railway nach Bishops Lydeard fahren. Der Weg zum B&B ist
schnell gefunden, die Geschäftsstraße hoch, an der Kirche vorbei und dann steil
den Berg hinauf. Janna begrüßt mich herzlich und zeigt mir mein geräumiges,
behaglich eingerichtetes Zimmer. Während der Busfahrt hatte es zu regnen begonnen,
aber das kann mich nicht von einer kleinen Ortserkundung abhalten. Nach einer
kurzen Teepause ziehe ich wieder los: die Straßen am Hang sind durch kleine
Fußwege verbunden, durch die ich stromere. In der schlichten, schönen Kirche
zünde ich eine Kerze an, gönne mir eine Runde Windowshopping und gehe am Meer
entlang bis hinter Butlins. Das Coast Path Monument, der Start des SWCP, ist
auf der anderen Seite des Ortes, am Hafen. Ich bin absichtlich in die
entgegengesetzte Richtung gegangen - ich glaube, ich bin ganz schön aufgeregt…
Nun habe ich immerhin schon das Meer erreicht. Ein schöner Gedanke: wenn alles
gut geht werde ich es die nächsten Wochen immer zur Gesellschaft haben!
Nun
genieße ich noch ein leckeres Abendessen im Whetherspoon Pub The Duke of
Wellington und im Zimmerbeende ich den Abend am Computer. Über Skype gebe ich
Bescheid, dass es mir bestens geht und starte ich ein paar Mail-Anfragen für
ein Quartier in Combe Martin, wo ich in drei Tagen ankommen möchte. Ob ich schlafen kann? Ich bin so kurz vorm
wirklich und wahrhaftig Losgehen!
Chelsea Bridge |